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Abstract:
Um gleichzeitig effektiv und liberal sein zu können, ist staatliche
Herrschaft auf freiwillige Folgebereitschaft angewiesen – die ihrerseits der Unterstützung
durch sozial geteilte Legitimitäts-Überzeugungen bedarf. In den demokratischen Verfassungsstaaten
des Westens werden solche Überzeugungen aus den unterschiedlichen, aber
komplementär zusammenwirkenden Traditionen der „republikanischen“ und der „liberalen“
politischen Philosophie hergeleitet. An diesen Kriterien gemessen erscheint die Europäische
Union – wenn man sie für sich betrachtet – als eine „liberale“ politische Ordnung,
der jedoch alle „republikanischen“ Legitimitätsmerkmale fehlen. Aber eine solche Sichtweise,
die auch die derzeitige Diskussion über ein „europäisches Demokratiedefizit“ bestimmt,
verkennt den Mehrebenencharakter des europäischen Gemeinwesens. In ihm sind es
die Mitgliedstaaten, die Entscheidungen der Union gegenüber den eigenen Bürgern durchsetzen
und auch legitimieren müssen, während es für die Union ihrerseits auf die freiwillige
Folgebereitschaft ihrer Mitgliedstaaten ankommt. Dabei werden diese jedoch durch die
normativen Grundlagen ihrer eigenen Legitimität begrenzt. Politische Entscheidungen auf
europäischer Ebene setzen breiten Konsens voraus, und die Regierungen sollten sie deshalb
auch gegenüber den eigenen Bürgern in „kommunikativen Diskursen“ vertreten und dafür
die politische Verantwortung übernehmen können. Dies gilt jedoch nicht notwendigerweise
auch für Entscheidungen der europäischen Politik, die im nicht-politischen Modus ohne
Beteiligung des Rates und des Parlaments vom Europäischen Gerichtshof bestimmt werden.
Mit der gegenwärtigen Radikalisierung seines „liberalen“ Programms der Liberalisierung
und Deregulierung des nationalen Rechts könnte der Gerichtshof in der Tat die „republikanischen“
Grundlagen der mitgliedstaatlichen Legitimität unterminieren. In diesem
Falle könnte die Union sich nicht länger auf die Folgebereitschaft ihrer Mitgliedstaaten
verlassen. Um diese Gefahr für die europäische Integration zu vermeiden, sollte eine stärkere
politische Kontrolle der richterlichen Rechtsetzung erwogen werden.