Abstract
Diese Habilitation beschäftigt sich mit Ursprung, Erhalt und ökologischer Bedeutung von genetischer Diversität in Freilandpopulationen. Modellarten der vorgestellten Arbeiten sind Populationen einer klonalen Wasserpflanze, des Seegrases Zostera marina, und des Dreistachligen Stichlinges, Gasterosteus aculeatus.
Bei Z. marina wurde durch die Entwicklung von insgesamt 11 artspezifischen Mikrosatelliten-Primersystemen die methodische Voraussetzung für eine Analyse der genetischen Diversität innerhalb und der genetischen Differenzierung zwischen Populationen geschaffen. Meine Ergebnisse zeigen, dass entgegen früherer Annahmen Z. marina als aquatische Pflanze ausgesprochen deutliche genetische Struktur und zum Teil hohe genetische Diversität auf allen räumlichen Skalen zeigt. In einem Organismus der sich klonal (vegetativ) und sexuell vermehren kann, müssen beide Ebenen genetischer Struktur sorgfältig voneinander getrennt betrachtet werden. Klonale Struktur entsteht durch die räumliche identische Vervielfältigung erfolgreicher Genotypen. Es zeigte sich, dass bei Z. marina die klonale (genotypische) Struktur zwischen Lokalitäten sehr unterschiedlich sein kann. Im Extremfall bestehen ganze Bestände aus nur wenigen (einem) Klon. Abschätzungen der effektiven Populationsgröße (Ne) ergaben eine starke Wechselbeziehung zwischen klonaler Struktur und Ne. In den meisten Populationen ist die klonale Diversität, so dass Ne>500. In diesem Fall kommt es nicht zu deutlichen Verlusten genetischer Diversität durch Drift.
Sexuelle Reproduktion ist entscheidend für die Entstehung neuer Genotypen in der Population. Die Reproduktionsleistung von sexuell reproduktiven Pflanzen war sowohl durch die Pollenzufuhr aus der Population, wie auch durch die verwandtschaftliche Kompatibilität in der unmittelbare Nachbarschaft von blühenden Pflanzen reguliert. Selbstbefruchtung durch Pollen von blühenden Pflanzen desselben Klones verursachten starke Inzuchtdepression.
Die Differenzierung zwischen Populationen, die an neutralen Markern wie Mikrosatelliten sichtbar wird, ist indikativ für den Austausch zwischen Teilpopulationen. Es ergibt sich folgendes Bild: In einigen Küstenregionen wie dem Nordfriesischen Wattenmeer und der südwestlichen Ostsee findet auf einer Skala von 1-60 km beinahe ungehinderter Genfluß statt. Dafür sind vermutlich vor allem driftende Fruchtstände verantwortlich. Eine schnelle Rekolonisierung nach lokalen Populationsverlusten erscheint dadurch wahrscheinlich, sofern ausreichend Ursprungspopulationen in der Region verbleiben. Dagegen zeichnen sich Küstenregionen am Rande des Verbreitungsgebietes von Z. marina (Portugal, Finnland) dadurch aus, dass Teilpopulationen stärker voneinander isoliert sind. Deutlich wurde dies an einer genetischen Differenzierung, die mit der Entfernung rapide steigt (= ‚isolation-by-distance’). In zwei Beispielpopulationen der südwestlichen Ostsee konnte gezeigt werden, daß sich die Differenzierung an neutralen Genloci (Mikrosatelliten) auch auf selektiv relevante Eigenschaften erstreckt (lokale Anpassung).
Untersuchungen zur ökologischen Bedeutung genetischer Diversität ergaben, dass die individuelle genetische Diversität (gemessen als Heterozygotie an 9 Mikrosatelliten-Loci) positiv mit der Klongröße, der Reproduktionsleistung, und vermutlich der Konkurrenzkraft von Klonen gekoppelt ist. In einem manipulativen Freilandexperiment zur Bedeutung genotypischer Diversität konnte ich zeigen, daß experimentelle Populationen mit diverser Mischung von Klonen eine höhere Leistung in Bezug auf Sproßdichte und Biomasse aufweisen als monoklonale Patches. Klonale Diversität scheint beim Seegras eine analoge Rolle zur Diversität auf Artebene zu spielen.
Mein zweiter Untersuchungsgegenstand war die Erklärung und Rolle des Polymorphismus von Immungenen bei Vertebraten anhand der Modellart dreistachliger Stichling (Gasterosteus aculeatus). Zielgene der Untersuchung waren Gene des MHC (=major histocompatibility complex), genauer MHC Klasse IIB-Gene. Die von MHC-Genen kodierten Oberflächenproteine erkennen strukturspezifisch Peptide von Krankheitserregern (inklusive Parasiten). Auch beim dreistachligen Stichling mußten zunächst die methodische Voraussetzung geschaffen werden, um den Polymorphismus von MHC-Genen zu charakterisieren. Dies erfolgte durch Klonierung und DNA-Sequenzierung sowie mittels SSCP-Analyse (single strand conformation polymorphism). Diese Methode erlaubt die Genotypisierung großer Probenserien (500 pro Woche), wie sie für Freilanduntersuchungen oder Partnerwahlversuche notwendig sind.
Populationsgenetische Basisdaten von schleswig-holsteinischen Stichlingspopulationen wurden als erstes ermittelt, weil der Polymorphismus von selektiv relevanten Genen wie MHC Genen nur so verstanden werden kann. Die untersuchten Freilandpopulationen in Schleswig-Holstein entstammen alle einer jungen Ursprungsgruppe, die vor 10 000-15 000 Jahren nach der letzten Eiszeit in Flüsse und Seen des Untersuchungsgebietes eingewandert ist. Dabei kam es zu einer schnelle Radiation von See- und Flußökotypen, die sich auch an ihren MHC Klasse IIB-Allelzusammensetzung deutlich unterscheiden. Dies legt die Hypothese nahe, dass divergierende Selektion für diese Unterschiede verantwortlich ist, zumal sich auch die Parasitenfauna zwischen beiden Habitattypen deutlich unterscheidet. Um divergierende Selektion nachzuweisen, habe ich die genetische Populationsdifferenzierung an neutralen Loci (Mikrosatelliten) und MHC Klasse II-Loci verglichen. Es zeigte sich, dass die Allelfrequenzen beider Gene bzw. Marker gut miteinander korreliert sind. Erst eine Analyse der Sequenzmuster von MHC-Allelen, die auf eines der beiden Habitate beschränkt sind, zeigt, dass die Divergenz zwischen Sequenztypen größer ist, als unter einer simulierten zufälligen Verteilung von Varianten über Habitattypen.
In einer epidemiologischen Studie war die Diversität von MHC-Genen innerhalb von Stichlingspopulationen positiv mit der Artendiversität der Parasitengemeinschaft am jeweiligen Standort korreliert. Darüber hinaus hingen auch die Befallsraten von Individuen mit ihrem MHC-Genotyp zusammen. Auf Individuenebene waren solche Fische am geringsten infiziert, welche eine intermediäre, aber nicht maximale MHC–Diversität aufwiesen. Dies stützt theoretische Modelle, die eine optimale mittlere MHC-Diversität voraussagen.
Der enorme Polymorphismus von MHC-Genen mit über 25 Varianten innerhalb von einer Population kann zumindest teilweise durch die Partnerwahl der Weibchen erklärt werden. Laichbereite Stichlingsweibchen mit geringer oder mittlerer MHC-Diversität wählten dabei in einem Strömungstank in der Regel solche Männchen, die mehr MHC-Allele als sie selbst aufwiesen. Gleichzeitig gewonnene Mikrosatelliten-Daten zeigten, dass diese Wahlentscheidung nicht von Verwandtschaftsbeziehungen beeinflußt wird. Weibchen mit hoher eigener Diversität wählten jedoch Männchen mit einer geringeren Zahl von MHC-Varianten. Die Strategie der sexuellen Selektion von dreitsachligen Stichlingen ist also Deckungsgleich mit der optimalen genetischen Diversität, die im Freiland mit den geringsten Befallsraten korreliert ist. Stichlinge erreichen mit dieser Strategie eine optimale Immunokompetenz in ihren Nachkommen