Abstract
<h1 class="entry-title">Ich wasch’ euch den Pelz und mach’ euch nicht nass!</h1> <div class="clear"><span class="author"> Von Martin <span class="term0">Hellwig</span> und Beatrice Weder di Mauro </span> <span class="updated date">10. Mai 2009</span></div> <p class="entry-content intro">Von „toxischen" Papieren, Bad Banks und ungelösten Solvenzproblemen</p> <div class="articleBox clear"> <p>Alle sind sich einig. Die Bankbilanzen müssen von „toxischen Papieren“ gesäubert werden, die Finanzmärkte müssen wieder funktionsfähig werden, und die Banken neue Kredite vergeben. Der Steuerzahler soll nicht mehr als nötig belastet werden. Zuerst müssen die Eigenkapitalgeber der Banken für die Verluste haften. Klingt alles gut, aber was heißt das eigentlich? „Toxische Papiere“? „Die Bankbilanzen säubern“? Und was ist der Zusammenhang zwischen den Bankbilanzen und der Funktionsfähigkeit des Finanzsystems? Geht man diesen Fragen nach, so stellt man fest, dass die derzeit diskutierten Pläne, angefangen bei dem des Bundesfinanzministeriums, den eigentlichen Problemen nur ausweichen. Die Erläuterungen und Begründungen zu diesen Plänen sind teilweise in sich widersprüchlich.</p> <p><b>Was ist ein „toxisches Papier“? </b></p> <p>Von einigen Papieren ist bekannt, dass sie überhaupt nichts mehr wert sind. Andere Papiere haben einen sehr niedrigen Marktwert, wenn es denn überhaupt einen Markt für sie gibt, doch kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der Ertragswert, d.h. der abgezinste Wert der bei bester Verwertung zu erzielenden Erträge, deutlich höher ist als der Marktwert. Schließlich gibt es Papiere, bei denen der Ertragswert so unsicher ist, dass jegliche Prognose sich verbietet. Die pauschale Bezeichnung „toxisch“ verschleiert die Unterschiede zwischen diesen verschiedenen Papieren.</p> <p>Inwiefern „belasten“ die toxischen Papiere die Bankbilanzen? Bei den Papieren, von denen man weiß, dass sie nichts mehr wert sind, gehen die Verluste unmittelbar zu Lasten des Eigenkapitals und bedrohen die Solvenz der Bank. Bei den Papieren, bei denen der Ertragswert deutlich höher ist als der Marktwert, kommt es auf die Bilanzierungsregeln und auf die Refinanzierungsmöglichkeiten der Bank an: Gibt es keine Refinanzierungsprobleme, so ist die Solvenz der Bank nicht bedroht. Jedoch führt eine Bilanzierung nach dem Zeitwert (Fair Value Accounting) dazu, dass zunächst Buchverluste auszuweisen sind, die dann später durch Buchgewinne wieder ausgeglichen werden. Gibt es allerdings Refinanzierungsprobleme und muss die Bank die Papiere kurzfristig verkaufen, so hat die Bank reale Verluste, die ihre Solvenz bedrohen. Bei den Papieren, deren Ertragswerte unsicher sind, steht die Frage im Raum, ob schlechte Nachrichten die Bank zu weiteren Abschreibungen zwingen könnten.</p> <p>Es ist also zu unterscheiden zwischen Solvenzproblemen, Refinanzierungsproblemen und Bilanzierungsfragen. Letztere sind nur insofern von Bedeutung, als sie das Verhalten der Beteiligten beeinflussen. So kann der Ausweis von Buchverlusten bei Fair Value Accounting Zweifel an der Solvenz der Bank begründen und die Refinanzierung infrage stellen. Die mit dem Ausweis von Buchverlusten einhergehende Belastung des Eigenkapitals kann auch die Bank veranlassen, Wertpapiere zu verkaufen oder ihre Kreditvergabe einzuschränken, um nicht die Anforderungen der Bankenaufsicht oder der Fremdkapitalgeber bezüglich ihrer Eigenkapitalrelationen zu verletzen.</p> <p>Die öffentliche Diskussion konzentriert sich auf Refinanzierungsprobleme und Bilanzierungsfragen und schenkt den Solvenzproblemen zu wenig Aufmerksamkeit. Man möchte die Kreditvergabe der Banken wieder in Gang bringen und stellt sich vor, das werde gelingen, sobald ihre Bilanzen von den „toxischen Papieren“ gesäubert sin , die übrigen Marktteilnehmer wieder Vertrauen schöpfen und die Refinanzierung, auch in den Interbankenmärkten, wieder reibungslos läuft. Die toxischen Papiere sollen daher in Zweckgesellschaften ausgelagert und langfristig abgewickelt werden. Im Tausch gegen die toxischen Papiere erhalten die Banken sichere Staatspapiere. Die Wertentwicklung der toxischen Papiere muss sie dann weiter nicht kümmern. Oder doch?</p> <p><b>Das Solvenzproblem wird den Banken nicht abgenommen ...</b></p> <p>Es heißt ja auch, die Eigenkapitalgeber der Banken sollten nicht aus der Haftung für die Fehler der Vergangenheit entlassen werden. Dann aber muss es für sie eine Rolle spielen, was bei der Verwertung der toxischen Papiere letztlich herauskommt. Die Auslagerung und geduldige Abwicklung durch eine Zweckgesellschaft eliminiert die Auswirkungen der Unsicherheit über die zukünftigen Marktpreise, nicht aber die Auswirkungen der Unsicherheit über die Ertragswerte der Papiere. Wenn sich in zehn oder zwanzig Jahren herausstellen sollte, dass auch bei geduldigster Abwicklung der Wert der Erträge zu niedrig ist, so müssen die Banken für den Fehlbetrag nachbelastet werden, zumindest wenn man die Aussage ernst nimmt, dass der Steuerzahler erst nach dem Aktionär zur Kasse gebeten werden soll. Besteht aber die Gefahr einer solchen Nachbelastung, so sind die Banken und ihre Eigentümer nicht wirklich von den toxischen Papieren befreit.</p> <p><b>.. es sei denn, der Steuerzahler übernimmt es</b></p> <p>Im Gespräch über diesen Konflikt erhält man verschiedene Antworten. So hört man, die heutigen Wirkungen einer solchen Nachbelastung seien gering, da diese erst in ferner Zukunft anfalle. Wenn das Papier heute für 1000 Euro übernommen werde, in zwanzig Jahren sich aber gezeigt habe, dass das Papier nichts wert war, so müsse die Bank dann eben 1000 Euro zahlen. Aus heutiger Sicht sei das fast nichts. Im Klartext: Der Steuerzahler soll der Bank einen zinslosen Kredit geben, der über zwanzig Jahre läuft. Der Verzicht auf eine Verzinsung subventioniert die Bank und belastet den Steuerzahler. Die Belastung wird über zwanzig Jahre verteilt und mag daher erträglicher sein. Gleichwohl besteht ein Widerspruch zum Prinzip, dass der Steuerzahler nicht vor den Eigentümern der Bank zur Kasse gebeten werden soll.</p> <p>Man kann auch hören, bei den Ertragswerten gebe es kein Problem. Die schwedische Erfahrung in den neunziger Jahren habe ja gezeigt, dass die Erträge auf die zweifelhaften Papiere sehr anständig seien, wenn man sich nur genügend Zeit bei der Abwicklung lasse. Der schwedische Staat habe am Ende ja noch ein Geschäft damit gemacht. Dass die schwedische Erfahrung sehr günstig ausfiel, heißt aber nicht, dass das immer so geht. Als man Ende der neunziger Jahre einen Schlussstrich unter die amerikanische Sparkassenkrise zog, stellte man fest, dass der Gesamtverlust bei ca. 160 Mrd. Dollar lag – nach zehn Jahren geduldiger Abwicklung. Das war zwar deutlich weniger als die 1990 vermuteten 600 – 800 Mrd. Dollar, aber auch 160 Mrd. Dollar sind ein erkleckliche Zahl. Mit anderen Worten: Auch wenn wir die Abwicklung der toxischen Papiere von der laufenden Marktentwicklung abschirmen, können wir nicht unterstellen, dass die Verluste vernachlässigbar sind. Verschleierung und zeitliche Streckung mögen dafür sorgen, dass die Verluste der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen werden; die Belastung des Steuerzahlers ist gleichwohl beträchtlich.</p> <p><b>Ein angeschossenes Tier ist aggressiv – eine gefährdete Bank auch</b></p> <p>Die Solvenzproblematik betrifft nicht nur die Verteilung der bereits entstandenen Verluste. Sie betrifft auch das zukünftige Verhalten der Institute. Ist die Solvenz gefährdet, so besteht ein Anreiz, erneut hohe Risiken einzugehen. In den USA nennt man das „Gambling for Resurrection“ nach dem rinzip „Kopf – ich bin wieder solvent; Zahl – der Steuerzahler trägt die Verluste.“</p> <p>Auch dazu liefert die amerikanische Sparkassenkrise ein Beispiel. In der Hochzinsphase von 1980 liefen den Sparkassen die Einleger davon, da sie bei den Geldmarktfonds viel höhere Zinsen bekamen. Auf Drängen der Sparkassen hob der Kongress der USA verschiedene Vorschriften, darunter die staatliche Regulierung der Sparzinsen auf. Die Sparkassen gingen dann hin und warben mit hohen Sparzinsen – „federally insured“ – und expandierten dramatisch. Das Ziel, die Refinanzierung der Sparkassen zu sichern und eine Kreditklemme für Häuslebauer zu vermeiden, wurde vollauf erreicht. Jedoch waren zum Zeitpunkt der Deregulierung etwa zwei Drittel der Sparkassen de facto insolvent waren, da der Ertragswert ihrer Aktiva deutlich geringer war als ihre Verbindlichkeiten. Die Insolvenz wurde nicht ausgewiesen, da noch kein Fair Value Accounting angewandt wurde. Nach der Deregulierung gingen die insolventen Sparkassen exorbitante Risiken ein und machten noch einmal hohe Verluste. Hätte man die Insolvenzen schon 1980 offengelegt, so wäre die Krise für den Steuerzahler nicht einmal halb so teuer gewesen.</p> <p>Nimmt man das Prinzip ernst, dass der Steuerzahler erst nach den Eigenkapitalgebern der Banken zur Kasse gebeten werden soll, so muss man sich jetzt mit den Risiken für die Solvenz der Banken auseinandersetzen, die die toxischen Papiere noch bergen. Auch wenn man die Papiere jetzt auslagert – die Aussicht auf eine spätere Nachbelastung, die die Solvenz der Bank bedroht, kann Anreize für ein „Gambling for Resurrection“ schaffen. Will man die Banken wirklich von den Auswirkungen der toxischen Papiere befreien, so genügt es nicht, die Papiere auszulagern und mit buchhalterischen Taschenspielertricks dafür zu sorgen, dass die damit verbundenen zukünftigen Verpflichtungen der Bank heute nicht bilanziert werden müssen. Man muss auch dafür sorgen, dass diese Verpflichtungen keine fatalen Verhaltensanreize schaffen.</p> <p>Man mag einwenden, ein solches „Gambling“ werde bei seriösen deutschen Banken nicht vorkommen. Jedoch hat gerade ein solches „Gambling“ zur Krise beigetragen. Oder wie soll man es sonst bezeichnen, wenn Industriekreditbank und sächsische Landesbank Zweckgesellschaften gründen, die praktisch ohne Eigenkapital langfristige Papiere auf dem Geldmarkt refinanzieren, gestützt durch Liquiditätszusagen in Höhe von einem Mehrfachen des Eigenkapitals der Bank? Dass gerade die Landesbanken von der Krise so stark betroffen sind, ist damit zu erklären, dass bei diesen Instituten das „Gambling“ das nach dem Wegfall der Staatsgarantien fehlende Geschäftsmodell ersetzte.</p> <p><b>Echte Säuberung erfordert Zupacken </b></p> <p>Will man die Banken wirklich sanieren, so sind folgende vier Prinzipien zu beachten:Erstens müssen die erforderlichen Restrukturierungen zügig in Angriff genommen werden; Solvenzprobleme dürfen nicht verschleppt werden. Zweitens sind dabei die angelaufenen Verluste der Bank vorrangig den bisherigen Kapitalgebern anzulasten. Drittens müssen die nach der Restrukturierung wieder aktiven Banken wirklich „gute Banken“ sein – mit soliden Bilanzen und tragfähigen Geschäftsmodellen. Viertens ist Sorge zu tragen, dass die „guten Banken“ keine Anreize zum Eingehen übermäßiger Risiken haben.</p> <p>Nach diesen Prinzipen müssen die „guten Banken“ nachhaltig von den Risiken der „toxischen“ Papiere befreit werden. Es genügt nicht, diese Risiken nur bilanztechnisch auszulagern. Es ist auch dafür zu sorgen, dass die Altaktionäre, die von diesen Risiken nach wie vor betroffen sind, die „gute Bank“ nicht zu einem „Gambling“ veranlassen können.</p> <p>Dazu ist erforderlic , dass der Staat aktiv an die maroden Banken herangeht. Insolvente Banken sind einem Restrukturierungsverfahren zu unterwerfen, Aktiva und Passiva jeweils auf eine „gute Bank“ und eine „schlechte Bank“ aufzuteilen, und die „gute Bank“ baldmöglichst wieder zu privatisieren. Ein solches Zupacken des Staates ist nicht als Verstaatlichung des Banksektors zu verstehen, sondern als Maßnahme zur Abwehr von Gefahren für das Finanzsystem und den Steuerzahler. Gefahrenabwehr ist ja ein Grundanliegen der staatlichen Finanzaufsicht. Die dafür zuständigen Behörden müssen klare Vorstellungen über das Ausmaß der Solvenzprobleme und über die notwendige Restrukturierung entwickeln und dafür sorgen, dass diese gezielt umgesetzt werden. Wenn die bestehenden Interventionsinstrumente dazu nicht ausreichen, so sollte der Gesetzgeber das Insturmentarium erweitern, und ein spezielles Restrukturierungsverfahren für Banken nach schwedischem oder englischem Vorbild einrichten.</p> <p>Bisher scheut man ein solches Zupacken des Staates. Die meisten „Bad Bank“-Modelle beruhen auf freiwilliger Teilnahme. Der Bund macht ein Angebot und die Eigentümer entscheiden, was sie damit machen. Die Entscheidungskompetenzen der bisher Zuständigen – und für die Krise Verantwortlichen – bleiben voll erhalten. Die Reaktionen auf das staatliche Angebot werden von der Ausgestaltung abhängen: Ist das Angebot unattraktiv, so wird es nur beschränkt in Anspruch genommen, und das angestrebte Ziel wird nicht erreicht. Die meisten „Bad Bank“-Modelle beinhalten allerdings versteckte Subventionen durch den Steuerzahler. Das mag sie für die Eigentümer und Manager attraktiv machen. Das Prinzip, dass die Eigentümer vor dem Steuerzahler in die Haftung genommen werden, wird dadurch aber verletzt. Man kann nicht einmal unterstellen, dass die von der Solvenzgefährdung ausgehenden Anreize zum Eingehen unverantwortlicher neuer Risiken beseitigt werden. Dazu ist die Hilfe des Steuerzahlers im Rahmen des „Bad Bank“-Modells zu indirekt und vermutlich auch zu gering. Um diese Anreize wirklich unter Kontrolle zu bringen, muss man die Solvenzproblematik explizit angehen und bereinigen.</p> <p>Die Popularität von “Bad Bank“-Modelle mit freiwilliger Teilnahme spiegelt zum Teil die Interessen der Betroffenen, in Deutschland insbesondere der Länder als Eigentümer der Landesbanken, zum Teil auch die Scheu vor einer staatlichen Übernahme des Finanzsektors. Man erhofft sich, durch die Wahlfreiheit der Alteigentümer ein marktkonformes oder marktähnliches Resultat zu erzielen. Dabei übersieht man, dass die Haftung des Eigentümers ein wesentliches Ordnungselement des Marktsystems, und durch den Staat als Garant von Eigentumsrechten und Verträgen durchzusetzen ist. Im Finanzsektor ist dieses Ordnungselement zur Zeit ausgesetzt und durch eine weitgehende Garantie des Steuerzahlers ersetzt worden. Unter diesen Umständen ist ein weiterer staatlicher Eingriff, der die Solvenzprobleme grundsätzlich angeht und die Voraussetzungen schafft, um Marktdisziplin wieder herzustellen unumgänglich. Der Versuch, den Banken den Pelz zu waschen, ohne ihn nass zu machen, birgt das Risiko, dass die Belastungen für den Steuerzahler am Ende noch sehr viel größer sein werden als jetzt schon.</p> </div>