Zusammenfassung
In diesem Artikel untersuchen wir die Verbreitung von Wissen über die Waage im neunten Jahrhundert in Baghdad, der Haupstadt des Abbasiden Kalifats. Wir fassen dieses Wissen als eine Kombination von praktischen und theoretischen Komponenten auf, welche in verschiedenen sozio-kulturellen Bereichen angesiedelt waren. Wir analysieren die Verbreitung dieser Wissensformen sowie deren Wertesysteme unter Baghdader Gelehrten aus einer globalen Sicht als Schnittpunkte von langfristiger und lokaler Geschichte.
Wir nähern uns diesem Thema in vier Schritten: 1. durch eine Darlegung unserer theoretischen Positionen; 2. mittels eines Überblick über Diskussionen unter Historikern der Wirtschaftsgeschichte West- und Ostroms, des Sasanidenreiches und der Kaliphate der Umayyaden und Abbasiden mit dem Ziel, die Veränderungen in Bereichen zu ermitteln, in denen Waagen und Gewichte die größte Bedeutung hatten – Handel, vor allem über große Entfernungen, und Administration; 3. durch eine Zusammenfassung der aus unserer Sicht bedeutendsten Aspekte früher abbasidischer institutioneller und intellektueller Geschichte; 4. mit einer Analyse der Interessen an Waagen und Gewichten unter Ärzten, ‘Theologen‘ und Juristen.
Der zweite Teile unseres Artikels dient der neuen, umfassenden Analyse von drei Texten über die Schnellwaage, die Thabit b. Qurra zugeschrieben sind, von Kommentaren und Zusätzen in den Manuskripten von einem dieser drei Texte und eines wichtigen lateinischen Textes (Liber de canonio), der bisher als eine direkte Übersetzung einer antiken griechischen Arbeit angesehen worden ist. Durch die Anwendung eines breiten Bereiches von Methoden, um den Charakter, den Inhalt und die Kontexte dieses Quellenmaterials zu ermitteln, sind wir in der Lage, mehrere wichtige neue Ergebnisse zu erzielen, die die komplexe soziokulturelle Natur von Thabits gräko-arabischen Hybridtexten belegen. Wir schlagen eine neue zeitliche Abfolge der Entstehung dieser Texte und eine neue Sicht auf ihre wechselseitigen Beziehungen vor. Wir präsentieren zwingende Belege für die neue Interpretation des Liber de canonio als einer gräzisierenden Übersetzung einer arabischen Vorlage. Darüber hinaus können wir die Bedeutung von intellektuellen Netzwerken und Patronagebeziehungen für die Entstehung der neuen Wissenschaft der Gewichte nachweisen.
In this paper we discuss the spread of knowledge on the balance as a mixture of practical and theoretical knowledge in different socio-cultural fields as well as their value systems among scholars of ninth-century Baghdad from a global perspective as an intersection of long-term and local history.
We approach the subject in four major steps: 1. a discussion of our theoretical positions; 2. a survey of discussions among economic historians of Rome, Byzantium, the Sasanian Empire and the Umayyad as well as Abbasid caliphates for determining changes in those domains where balances and weights mattered most – trade, in particular long-distance trade, and governance; 3. a summary of major events in early Abbasid institutional and intellectual history; 4. an investigation of interests in balances and weights among physicians, mutakallimun and jurists.
The second part of our paper is dedicated to a new, thorough analysis of three texts on the steelyard attributed to Thabit b. Qurra, commentaries and additions to one of them found in the manuscripts and an important Latin text (Liber de canonio) seen so far as a direct translation of an ancient Greek text. Applying a complex range of methods in order to understand the character, content and context of these texts, we achieved to establish several major new results that prove the eminently socio-cultural nature of Thabit’s new hybrid Greco-Arabic texts, suggest a new temporal sequence of the studied texts and their mutual relationships, establish the Liber de canonio as most likely a grecizising translation of an Arabic ancestor and demonstrate the importance of intellectual and patronage networks for the establishment of the new science of weights.