Abstract
1. Colossoma macropomum (Serrasalmidae) und Brycon cf. melanopterun (Characidae) sind beliebte Speisefische Amazoniens. Die bei Hochwasser geringen Fischereierträge haben Untersuchungen über eine Aquakulturgeeigneter Arten veranlaßt. Die beiden Arten wurden dazu näher auf ihre Biologie hin untersuchtsucht.
2. Ganz wie in dem natürlichen Verbreitungsgebiet, der Várzea, trat auch in den Versuchsteichen häufig Sauerstoffmangel mit Werten um 0,5 mg O2 l-1 auf. Akzessorische Atmungsorgane zur Luftatmung fehlen jedoch beiden Arten.
3. Exemplare aus hypoxischen Milieu fielen durch dermale Extensionen des labialen Unterkieferrandes auf.
4. Die Genese dieser "Lippen" ließ sich experimentell induzieren wenn der O2-Gehalt Werte von 0,5 mg 02 l-1 erreicht. Sie bilden sich in gut belüftetem Wasser in wenigen Stunden zurück.
Nach den noch vorläufigen Experimenten, die nur für Tiere von 16 - 20 cm Länge gelten, lassen sich zwei Typen der Genese und Degeneration unterscheiden, Typ A (Brycon): Die Lippe ist bereits zu Beginn des "Aiu"-Verhaltens entwickelt und bildet sich langsam zurück. Typ B (Colossoma): Die Lippe
entwickelt sich während des "Aiu"-Verhaltens und bildet sich schnell zurück.
5. Histologische Analysen zeigen, daß ödematöse Vorgänge im Stratum spongiosum der Hypodermis die schnellen Veränderungen bewirken. Das Gewebe besitzt keine nennenswerten Kapillaranhäufungen, die eine respiratorische Funktion wahrscheinlich machten.
6. Aus dem Verhalten der Fische, bei Hypoxic an der Wasseroberfläche zu schwimmen und dem Auftreten der Lippenextensionen am Unterkiefer, wird geschlossen, daß dabei die im Kontakt mit der Luft befindliche Oberflächengrenzschicht über die Kiemen veratmet wird. Hierbei kommt der vergrößerten Lippe am Unterkiefer höchstwahrscheinlich eine hydrodynamische Funktion zu, die den
Eintrag der sauerstoffreicheren Grenzschicht in die Mundhöhle verbessert und wahrscheinlich dazu stabilisierend beim Schwimmen wirkt.