Nach Auffassung von Wolfgang Streeck, Direktor des
Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, befindet sich die
Weltwirtschaft derzeit in einer kaum auflösbaren Zwickmühle. Er sehe die Gefahr
einer Dauerkrise, die die Aufmerksamkeit der Politik ständig beanspruchen
werde.
Christopher Ricke: Fünf Tage lang große Reden,
wichtige Menschen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und die Frage: Wie ist
die Krise zu meistern? Die Frage ist formuliert, alleine mit der Antwort hapert
es! Am besten dann auch noch so - so sagen es die Wirtschaftsführer und auch die
Politiker -, dass nicht nur die Investoren, sondern auch die ganz normalen
Menschen einigermaßen unbeschadet davon kommen!
In Davos beginnt dieses
Forum, 50 Staats- und Regierungschefs kommen mit hunderten Experten zusammen.
Und ich sprach mit Wolfgang Streeck, er ist Direktor am Max-Planck-Institut für
Gesellschaftsforschung. Herr Streeck, bevor wir über das Wie der Rettung
sprechen, würde ich gerne erst einmal den Zeitrahmen abstecken: Wie lange können
oder müssen wir denn eigentlich noch so weitermachen? Monate, Jahre, ja,
vielleicht Jahrzehnte?
Wolfgang Streeck:
Also, das ist gar nicht mal die Frage, ob wir können, sondern es ist die Frage,
ob wir müssen. Das ist ja nicht so leicht zu wissen, erstens wie lange das noch
dauern wird und zweitens was man tun muss, damit es aufhört. Die
Vorhersagefähigkeit der Politik und der ökonomischen Theorie haben ja nun in den
letzten Jahren nicht sehr viel Vertrauen erweckt, und viel besser als vor fünf
Jahren sind wir jetzt auch nicht in dieser Hinsicht.
Ricke:
Dann schauen wir uns mal den Punkt an, an dem wir stehen: Rettungsmaßnahmen
wurden durchgeführt, staatsfinanziert; gleichzeitig streben wir eine Begrenzung
der Staatsverschuldung an, dafür gibt es gute Argumente, und wollen auch mehr
Investitionen in Infrastruktur, in Bildung, in Umwelttechnologie. Außerdem
müssen wir die Rentner vor der Altersarmut schützen, den demografischen Wandel
meistern und mit anderen Staaten solidarisch sein. Ich glaube, wir überheben uns
da ganz erheblich!
Streeck: Ja, das kann
man wohl so sehen. Wenn man zum Beispiel heute sagt, wir müssen das globale
Finanzsystem besser regulieren und sicherstellen, dass da nicht noch mal was
explodiert, dann heißt das ja, dass man die Möglichkeiten der Banken, Risiko
einzugehen, beschneiden muss. Also, zum Beispiel durch Erhöhung der
Eigenkapitalausstattung.
Wenn man das aber tut, dann ist die Geldmenge,
die verfügbar ist, um neue Projekte zu finanzieren, geringer, als sie jetzt
schon ist. Und dann geht das wieder nicht. Und so weiter, so kann man immer
sehen, dass es ganz verschiedene Ansätze gibt, die alle irgendwie gemacht werden
müssten, aber die kommen dann anderen Dingen, die man auch braucht, in die
Quere. Das nennt man eine Situation, die wie verhext ist von
Dilemma.
Ricke: Bei Goethe konnte der
Zauberlehrling noch den Meister rufen. Aber den Meister haben wir nicht. Wie
handlungsfähig ist denn Politik überhaupt noch?
Streeck: Na ja, also, es ist ganz realistisch, das -
ich glaube - Schäuble vor einiger Zeit gesagt hat, man könne da nur auf Sicht
fahren und im Nebel stochern. Das ist ja aus der Hand eines, der es ganz genau
wissen muss, eine - meine ich - sehr realistische Erklärung. Wenn Sie sich die
letzten zwei Jahre angucken, da gab es einen Gipfel nach dem anderen, ein
Patentrezept nach dem anderen, die hat man alle probiert, aber richtig raus ist
man aus der Sache noch nicht. Und vor allen Dingen, es weiß niemand, was nun als
Nächstes passieren kann.
Die Berechenbarkeit der nächsten Ereignisse ist
radikal geschrumpft oder auch nur der Glaube an die Berechenbarkeit. Und das ist
ja auch schon wieder ein Grund für krisenhafte Entwicklungen, wenn das Vertrauen
weg ist.
Ricke: Wenn man das in
Deutschland noch nicht spürt, könnte das ja ein Hinweis darauf sein, dass der
deutsche Weg der richtige ist. Die letzten Jahrzehnte waren Jahrzehnte der
Lohnzurückhaltung, der Exportorientierung, der Industrieförderung. Ist das
vielleicht der Weg, den einfach ganz Europa gehen muss?
Streeck:
Na ja, ganz Europa kann diesen Weg gar nicht gehen, und nicht nur aus
makroökonomischen Gründen. Man muss sehen, dass wir unheimlich viel Glück haben
in Deutschland in einer Sache, über die wir noch vor zehn Jahren gar nicht so
glücklich waren, und das ist die große Rolle der verarbeitenden Industrie, der
sozusagen Exportgüter produzierenden Industrie in unserer Volkswirtschaft.
Wir können uns ja alle noch erinnern, dass vor zehn Jahren uns sämtliche
sogenannten ökonomischen Experten geraten haben, uns endlich in eine
Dienstleistungsgesellschaft zu verwandeln, eine sogenannte, sozusagen den
Finanzstandort Frankfurt so auszubauen wie den Finanzstandort London und so
weiter, und irgendwie zu vergessen, was wir eigentlich wirklich konnten und
können, nämlich diese intermediären Technologien, Automobile, Maschinen und so
weiter sozusagen konkurrenzlos gut anzubieten. Das hat was mit unserem
Ausbildungssystem zu tun, mit dem immer noch ganz gut funktionierenden dualen
System.
Und so sind wir in diese Krise und in die Nachkrisezeit
gestartet mit einer strukturellen Ausstattung, die uns ermöglicht hat, nach
Amerika, wo die Einkommensverteilung immer schiefer wird und oben sich alle
Audis kaufen können ohne Ende, und nach China sozusagen all diese guten Dinge zu
liefern. Und so sind wir in diese Situation gekommen, dass wir praktisch noch
gar nicht merken, wie schwierig es ist. Wenn das mal aufhört, wenn dieser
Exportboom mal aufhört, dann wird sich das bei uns gar nicht viel unterscheiden
von den Zuständen, die wir in anderen europäischen Ländern haben.
Ricke: Wenn wir uns diese Zustände ansehen, dann sehen
wir große Überschuldung, weit über all dem, was auch in Maastricht jemals
vereinbart wurde. Und jetzt könnte man natürlich - ich gebe zu - vielleicht
etwas blauäugig darangehen und sagen, wir brauchen eine saubere Insolvenzlösung,
nicht für Griechenland, sondern vielleicht für die ganze Euro-Zone: Schulden
weg, überhitzte Finanzblasen weg. Was bleibt, sind ja die Menschen, ihr Wissen,
ihr Können, es bleiben die Sachwerte von den Fabriken bis zur Landwirtschaft,
und wir fangen einfach noch mal neu an!
Streeck: Ja, ich könnte das im Prinzip für nicht falsch
halten. Denn man muss sich ja fragen, wo diese ungeheuren Vermögensüberhänge,
die auf der anderen Seite sich als ungeheure Schulden darstellen, was mit denen
eigentlich geschehen soll! Nicht wahr, Schulden sind ja nichts anderes als
Versprechungen.
Jetzt kann man sich fragen, ob die Schuldenberge, die da
aufgetürmt worden sind, überhaupt jemals in dieser Weise abgegolten werden
können. Und die Frage beantwortet sich eigentlich im Prinzip so, dass, je länger
man darüber nachdenkt, man umso mehr das Vertrauen verlieren muss, dass das
jemals möglich ist.
Und wir haben ja die Situation, wo die Gläubiger
dann plötzlich anfangen, Panik zu bekommen - das war ja nach 2008, 2009 der Fall
-, wir kriegen das Zeug nie wieder! Jetzt muss man die Frage stellen: Wer
leidet, wenn man diese Entschuldung in der einen oder anderen Weise vornimmt?
Und da kann man ja sagen, in den letzten zehn, 15 Jahren ist es dem Kapitalismus
gelungen, eine ganz große Zahl von Menschen über Zusatzversicherungen in diesem
Prozess der Liberalisierung und Entstaatlichung in das System der
Finanzinvestition sozusagen hineinzuziehen. Die sind ja nun selber auch
betroffen. Viele Leute, die in Altersrenten, Lebensversicherungen und so weiter
investiert haben, haben natürlich zu Recht Angst, dass, wenn eine solche
Entschuldung stattfinden würde, sie davon betroffen wären.
Ricke:
Dann sind wir wieder bei der Eingangsfrage: Wie viel Zeit haben wir noch, bis es
knallt, sei es in der Euro-Zone, sei es in der Europäischen Gemeinschaft oder
sei es auf der Weltfinanzebene?
Streeck:
Ich sage Ihnen: Diese Metapher, dass es knallt, ist nicht gut. Weil die die
Vorstellung mit sich bringt, es gäbe so etwas wie ein knallartiges Ende in einer
Krise. Das ist nur ganz selten der Fall. Wovor man Angst haben muss, ist das
Schwelen einer Dauerkrise, die ständig die Aufmerksamkeit der Politik, der
Öffentlichkeit in Anspruch nimmt, wo sehr viel andere und sehr viel wichtigere
Dinge eigentlich zu besorgen wären.
Also, das ist eigentlich das
Problem, dass wir für die nächsten zehn Jahre, wenn uns der Himmel nicht auf den
Kopf fällt, was man immer nicht ausschließen kann, aber eine sehr viel
realistischere Sache berechnen müssen, dass sich das Klima in Europa allmählich
verschlechtert, dass sich die Haushaltsstrukturen immer weiter verfestigen, die
Möglichkeit für politische Initiativen immer weiter zurückgehen innerhalb der
Länder, weil alles festgelegt ist, dass die Stimmung sich versauert, weil jeder
irgendwas aus dem europäischen Topf haben will, da aber nichts mehr drin ist,
weil auch im Norden gespart werden muss. So eine Situation, das ist das
Realistische, und das sehe ich eigentlich nicht, wie das anders kommen könnte
als das, was ich Ihnen gerade beschrieben habe.
Ricke: Wolfgang Streeck, er ist Direktor am
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Vielen Dank, Herr
Streeck!
Streeck: Ja, vielen
Dank!
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